Die Knochenhand – Kosmische Skulptur aus Gas

Die Knochenhand im Sternbild Schwan

NGC 6992, bekannt unter dem eindringlichen Namen „Knochenhand“ oder „Eastern Veil Nebula“, ist ein spektakulärer Supernova-Überrest, der sich im Sternbild Schwan (Cygnus) befindet und ein beliebtes Ziel für die Astrofotografie darstellt. Diese kosmische Struktur ist das leuchtende Erbe einer gewaltigen Explosion, bei der ein massereicher Stern vor schätzungsweise 10.000 bis 20.000 Jahren sein Leben beendete. Das Ereignis der Supernova schleuderte Materie mit immenser Geschwindigkeit in den interstellaren Raum, wo sie bis heute expandiert. NGC 6992 bildet den östlichen Bogen der sogenannten Cygnus-Schleife (Cygnus Loop), einer viel größeren Hüllenstruktur, deren Gesamtumfang etwa dreimal so groß ist wie der Vollmond. Die gesamte Schleife umfasst neben der Knochenhand auch den Western Veil Nebula (NGC 6960) sowie das Pickering’s Triangle.

Der Nebel selbst besteht aus erhitztem und ionisiertem Gas sowie Staub, das durch die Supernova-Stoßwelle erfasst wurde. Seine charakteristische Erscheinung, die an eine Hand mit ausgestreckten Fingern erinnert, entsteht durch feine, fadenartige Strukturen, die Astronomen als Filamente bezeichnen. Diese Filamente sind im Grunde die dünnen Stoßwellenfronten, die sich durch das umliegende, kühlere interstellare Medium bewegen. Die Stoßfronten komprimieren das Gas, wodurch es zum Leuchten angeregt wird. Man kann sich diese Filamente als die Kante einer dünnen, expandierenden Gaskugel vorstellen, die nur dann sichtbar wird, wenn man sie tangential betrachtet.

Die Farben des Nebels verraten seine chemische Zusammensetzung, da unterschiedliche Elemente bei unterschiedlichen Energieniveaus leuchten. In vielen Falschfarbenaufnahmen erscheint NGC 6992 in leuchtenden Rottönen, die hauptsächlich vom ionisierten Wasserstoff (H$\alpha$) stammen. Ebenso prominent ist die blau-grüne Emission, die auf das Vorhandensein von doppelt ionisiertem Sauerstoff ([OIII]) hinweist. Diese Farbkontraste machen die Knochenhand zu einem visuellen Meisterwerk des Nachthimmels. Bei einer geschätzten Entfernung von etwa 1400 bis 2600 Lichtjahren dehnt sich die Materiehülle über etwa 50 bis 65 Lichtjahre aus. Trotz der intensiven Erforschung dieses Objekts ist der kompakte Überrest der Supernova – ob Neutronenstern oder Schwarzes Loch – innerhalb der Cygnus-Schleife noch nicht eindeutig identifiziert worden. Die Knochenhand ist somit nicht nur ein wunderschöner Anblick, sondern auch ein wichtiges Labor für Astrophysiker, um die Dynamik und Entwicklung von Supernova-Überresten zu untersuchen und unser Verständnis der Sternenentwicklung zu vertiefen.

1. Gesamtstruktur und Ursprung

  • Supernova-Überrest: NGC 6992 ist die expandierende Hülle aus Gas und Staub, die bei der Explosion eines massereichen Sterns entstand. Die Supernova fand nach Schätzungen vor etwa 10.000 bis 20.000 Jahren statt.
  • Cygnus-Schleife (Cygnus Loop): NGC 6992 ist nur ein Teil einer viel größeren, blasenartigen Struktur am Himmel, die den gesamten Supernova-Überrest darstellt und einen scheinbaren Durchmesser von etwa 3 Grad (etwa sechsmal so groß wie der Vollmond) einnimmt. Die sichtbaren Teile der Schleife tragen verschiedene NGC- und IC-Bezeichnungen, darunter:
    • NGC 6992/6995/IC 1340: Der östliche Bogen (die „Knochenhand“).
    • NGC 6960: Der westliche Bogen (oft als „Hexenbesen“ oder „Witch’s Broom Nebula“ bekannt).
    • Pickering’s Triangle: Eine schwächere, dreieckige Struktur im Norden.
  • Entfernung und Ausdehnung: Der gesamte Nebelkomplex ist etwa 1.400 bis 2.600 Lichtjahre von der Erde entfernt. Die tatsächliche Ausdehnung der Blase beträgt schätzungsweise 50 bis 65 Lichtjahre im Radius.

2. Charakteristische Filamente (Fadenstruktur)

Die markanteste Eigenschaft von NGC 6992, die ihm den Beinamen „Knochenhand“ verleiht, ist seine feinfaserige, fadenartige (filamentöse) Struktur .

  • Stoßwellen (Shock Waves): Die Filamente sind das Ergebnis von Stoßwellen, die in das umgebende interstellare Medium (Gas und Staub) expandieren. Die Materie, die bei der Supernova ausgestoßen wurde, bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit durch das All und komprimiert das vor ihr liegende Gas.
  • Sichtbarkeit: Die Stoßfronten sind extrem dünn. Die seilartigen Filamente werden nur sichtbar, wenn wir die kugelförmige Hülle genau von der Kante aus betrachten, was die dünne Stoßwelle optisch verstärkt. Die Dicke eines einzelnen Filaments wird auf etwa 1/50.000 des Radius der gesamten Blase geschätzt.
  • Zusammensetzung und Farbe: Die leuchtenden Farben des Nebels entstehen durch die ionisierten Gase, die durch die energiereiche Stoßwelle erhitzt werden:
    • Rot (H$\alpha$): Stammt hauptsächlich vom ionisierten Wasserstoff.
    • Blau-Grün ([OIII]): Stammt vom zweifach ionisierten Sauerstoff.
    • NGC 6992 zeigt eine besonders starke rote H$\alpha$-Emission und ist auch reich an blau-grüner [OIII]-Emission.

3. Namensgebung

Der Name „Knochenhand“ (manchmal auch „Skeletthand“) beschreibt anschaulich die Erscheinung von NGC 6992: Die leuchtenden, bogenförmigen Filamente erinnern an die dünnen, knochigen Finger und das Handgelenk eines menschlichen Skeletts, das aus der Dunkelheit des Weltraums herausragt.

Allgemeinen astrophysikalische Fakten zu NGC 6992

MerkmalBeschreibung
Name(n)Knochenhand, Eastern Veil Nebula (Östlicher Schleier-Nebel), Teil des Cirrusnebels
KatalogbezeichnungNGC 6992 (hellster Teil) und NGC 6995 (südliche Erweiterung), zusammen mit IC 1340
ObjekttypSupernova-Überrest (SNR)
GesamtkomplexCygnus-Schleife (Cygnus Loop)
SternbildSchwan (Cygnus)
EntfernungCa. 1.400 bis 2.600 Lichtjahre
Geschätztes Alter10.000 bis 20.000 Jahre seit der Supernova-Explosion
Physikalische StrukturExpandierende Hülle aus ionisiertem Gas und Staub
Charakteristische StrukturFeinfaserige, seilartige Filamente (Stoßwellenfronten)
NamensherkunftDie bogenförmigen Filamente erinnern an die Struktur einer menschlichen Hand bzw. eines Skeletts.
HauptbestandteileIonisierter Wasserstoff (emittiert Rot/H$\alpha$) und Sauerstoff (emittiert Blau-Grün/[OIII])
Visuelle GrößeDas gesamte Cygnus Loop erstreckt sich über ca. 3° am Himmel (sechsmal der Vollmonddurchmesser).
EntdeckerWilliam Herschel (1784)

Aufnahmedetails:
Aufnahmedatum: 16.-17.08.2018
Kamera: Canon EOS 60 Da
Objektiv: Samyang 135mm f/2 ED UMC
Montierung: iOptron ZEQ25 GT
Lichtempfindlichkeit des Kamerasensors: ISO 4000
Belichtungszeit: 80 Einzelbilder mit 120 Sek. (Gesamtbelichtung: 160 Min.)

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